Wo wir gerade alle so in 9/11 schwelgen ...

... muss ich leider immer wieder auch an ein Gespräch denken, dass mir gezeigt hat, wie sehr die Welt sich seit dem verändert hat.

Folgt mir in dieses Szenario:

Party eines Freundes meines damaligen Freundes, alles Menschen zwischen 20 und 30, alle bereits berufstätig im mittleren Sektor (Bootsbauer, Mechatroniker, soz.päd. Assistentinnen, Friseurin etc.) Spott über mich als der einzigen "faulen Studentin" sind in dieser Runde eh an der Tagesordnung.

Ich werde von der Friseurin, deren blonde Locken und Pfannkuchengesicht mich immer an Miss Piggy erinnern, gefragt, warum ich denn nicht so fröhlich und lustig erzählen würde wie sonst immer. Weise darauf hin, dass ich auf der Fahrt zum Partyort eine schlimme Geschichte im Radio gehört hatte, und mich damit beschäftigen würde.

Neugierig geworden, piesakt sie mich so lange, bis ich ihr (und damit allen anderen am Tisch) erzähle, dass in Afghanistan ein amerikanischer Pilot mit nervösem Zeigefinger auf eine afghanische Hochzeit eine Bombe geworfen habe.
Ich schüttelte den Kopf ob dieses Wahnsinns, und dachte, alle anderen würden ebenso erschüttert sein. Mitnichten.

Stattdessen fragt mich "Miss Piggy", wieviele Menschen denn da umgekommen wären. Ich mutmaßte, dass es ca. 50 Tote und zahlreiche Verletzte gegeben hätte, irgendwie sowas hätte nrd2 mir in den Nachrichten erzählt.
Und was sagt die Schnepfe? "Na, das ist ja gar nichts gegen die vielen Leute, die im World Trade Center gestorben sind."
Ich war sprachlos ob dieses Vergleiches, stammelte etwas von dem eklatanten Unterschied zwischen den Sachverhalten, da das WTC von Terroristen angegriffen wurde, während die USA den Staat Afghanistan angegriffen hätte, und das ich (bis heute übrigens) keine Kriegserklärung der Afghanen mitbekommen hätte.
Stille am Tisch.
Und dann guckt mich Miss Piggy ganz merkwürdig an und sagt wie beiläufig: "Ach jaaaa .... du bist ja auch irgendwie sowas. Oder?"

???

Miss Piggy: "Na, Islamistin."
Einwurf ihres Freundes: "Die heißen Moslems."
Miss Piggy: "Naja, sowas radikales eben."

????

Der ganze Tisch wartet auf meine Reaktion, ich sammle mich ein wenig und sage: "Ja, stimmt. Ich bin Katholikin, und genau wie alle Christen ist das ne ganz schön radikale Gruppierung, man denke nur an die Kämpfe in Irland, oder die Kreuzzüge, das waren auch Christen.
Aber ja, ausserdem bin ich auch noch Halb-Inderin, stimmt."

Schweigen.

Und mit dieser stoischen Gelassenheit, Dinge, die man nicht verstanden hat, einfach zu ignorieren, grinst sie dümmlich-trimphal in die Runde und sagt tatsächlich: "Wusste ich´s doch!".

Es folgte Schweigen, Gott sei Dank unterbrochen dadurch, dass im Nebenraum ein Tumult ausbrach, weil eine der weniger intelligenten Partybesucherinnen den Nebenraum mit Musik der wiedererstarkten Modern Talking terrorisierte.

Ich verliess die muntere Runde, ging ins Bad und schrieb auf, was da eben passiert war. Alle Sätze, alle Gefühle, die ich mir gemerkt hatte, brachte ich zu Papier, und diesen Zettel habe ich eben gerade bei der Suche nach einem Radiergummi gefunden. Gelesen und ein wenig Wasser in den Augen gehabt. Getrauert.

Darüber, wie sich alles verändert hat, wie leicht man mit einer kritischen Haltung zur US-Politik zum radikalen Moslem mutieren kann. Bin ich froh, dass es bei uns keine Stasi gibt, die hätten wohl spätestens nach diesem Gespräch eine Akte über mich angelegt, Teile der Partygesellschaft hätten sich da bestimmt gern als IM angeboten.