Unser Besuch in der Bergklause

Es gibt ja so Orte in der eigenen Stadt (oder auch im näheren Umfeld), die man immer schon mal besuchen wollte, die auch jeder Tourist kennt, aber irgendwie nie dazu kommt. Der Düsseldorfer Fernsehturm samt Restaurant gehört dazu, obwohl ich jahrelang dort gelebt habe. Das Atomium in Brüssel habe ich erst erklommen, als wir später eine Stippvisite mit Freunden gemacht haben, nicht zu meiner "Wohnzeit". Im nahegelegenen Hamburg wollte ich immer mal irgendwann "Cats" und das "Phantom der Oper" sehen - die im Übrigen lääängst weitergezogen sind.

In Kiel sind solche von mir noch nie besuchten Orte zum Beispiel der Rathausturm, der Botanische Garten oder aber die berühmt-berüchtigte "Bergklause" in Holtenau. Es werden sich wilde Geschichten über diese Eckkneipe mit Küche erzählt, über nicht schaffbare Portionen, eine rigorose Wirtin, eine gute Qualität der Speisen trotz geringem Preis und der Tatsache, dass alle, die ihr Fleisch nicht aufessen, danach für Karl-Heinz Böhms "Menschen für Menschen" spenden müssen.

Am letzten Sonntag war es dann soweit, wir fuhren zu viert nach Holtenau, erfreuten uns an der Tatsache, dass es abends um sieben noch hell war und betraten die "Bergklause", in der ich am Abend zuvor einen Tisch reserviert und gleich schon ein lustiges Gespräch geführt hatte. Die Bergklause sieht von innen so aus, wie man es von außen erwartet: Dunkle Holzmöbel, stoffbezogene Bänke, ein dominierender Tresen samt dazugehöriger Besetzung mit älteren Herren. Alles in allem: urig-gemütlich.

Als wir hereinkamen, wurden wir von einem älteren Herren begrüßt, der uns fragte, ob wir denn etwa essen wollten? Vom Essen werde man doch schließlich dick? Ich antwortete nur, dass von "werden" hier nicht mehr gesprochen werden könne und wir wurden von der weiblichen Bedienung an einen Tisch gebracht. die Speisekarte war übersichtlich, es gab diverse Kleinigkeiten, zwei "Kindergerichte", eine Seite mit Schnitzelgerichten und eine mit Steaks.

Die weibliche Bedienung kam an den Tisch, um die Bestellung aufzunehmen und plante rigoros um: Die Jungs wurden mehrfach gefragt, ob sie gute Esser seien, dem anderen Mädel wurde nahegelegt, statt dem normalen Schnitzel lieber den Kinderteller zu nehmen. Ich fragte nach der Menge des Rumpsteaks (ich bin gewohnt, dass da eine Grammzahl dahintersteht) und erhielt die Antwort: "Schaffbar". Meine Pommes wurden mir dahingehend gekürzt, dass ich sie mit der weiblichen Begleitung teilen sollte.

Nun gut: Die Bestellung war aufgegeben, wir hatten uns jede Menge zu erzählen, was jedoch regelmäßig unterbrochen wurde, um den Tellern mit den "Schnitzellappen" hinterherzuschauen, die an andere Tische gebracht wurden. Und hier kommt unsere Bestellung:





Erste Reihe: Kinderteller Schaschlikspieß und Kinderteller Schnitzel
Zweite Reihe: Rumpsteak mit Pilzen (reguläre Portion) und Schnitzel Holsteiner Art (reguläre Portion)
(draufklicken um mehr zu sehen, die Qualität liegt an dem Unvermögen der Handykamera, im dunklen besser zu knipsen)

Das Kinderschnitzel war vor allem viel Panade und viel Fleisch, und für die Bestellerin einfach nicht schaffbar. Der Rest wurde in Alu eingepackt und für den kommenden Tag als Mittagessen eingeplant.
Der Kinder-Schaschlikspieß war abwechselnd mit Zwiebeln aufgesteckt, zartes Fleisch und dann von Schaschliksauce ertränkt, deren Geschmack dominierte. Die Bratkartoffeln waren okay, aber keine Offenbarung. (Kommentar des Essers: "In der Alten Räucherei in Ellerbek schmecken sie besser.")
Zu meinem Rumpsteak, das unter einem großen Berg Champignons zu finden und reichlich mit grobem Pfeffer bestückt war, läßt sich vor allem sagen, dass man außerhalb eines Steakhauses kein Steak bestellen sollte. Obwohl in der Mitte rosa, war es an den Rändern doch äußerst zäh und am Ende auch noch sehnig, weswegen ich mich weigerte, für dieses "nicht aufgegessen" zu spenden. Die Kräuterbutter war lecker und reichlich (das ICH mal die Hälfte der Kräuterbutter übriglasse, wer hätte das gedacht?), die Pilze okay. Dazu einer "Garnitur" aus Gurkensalat, Selleriesalat und Bohnensalat, von denen ich nur die Gurken gegessen habe.
Der Einzige, der sich traute ein reguläres Schnitzel von der Karte zu bestellen erhielt eine Platte mit großem Schnitzel, Spiegeleiern, Bratkartoffeln und einem Berg Erbsen&Möhrchen aus der Dose - und hat alles aufgegessen!

Da alle vier Besucher mehr oder weniger aktive Twitterer sind, wurde natürlich auch die Followerschaft über dieses Ereignis in Wort und Bild informiert, und man merkte, dass am Sonntag abend nicht soo viel mehr los war :) So konnten wir gleich für "Kieler Hunger" herausfinden, dass es in der Bergklause leider keinen Mittagstisch gibt, und erfanden außerdem neue Wortschöpfungen. Alles in allem hatten wir einen sehr schönen Abend mit einer netten Bedienung und großen Portionen zu günstigen Preisen. Das Steak blieb leider weit hinter den Erwartungen zurück, meine Kleidung und ich rochen am nächsten Morgen stark nach Frittierfett und ich denke, dass wir es bei diesem einen Bergklausen-Besuch belassen werden.